Rumänien – eine Reise der Himmlischen Töchter in ein unbekanntes Land
Die katholische Kirche auf dem Marktplatz in Siebenbürgens Metropole Cluj Napoca (Foto: Dr. Ute Olliges-Wieczorek)
„Ihr reist nach Rumänien – was macht man denn dort?“, hieß es oftmals, wenn Mitglieder der jungen KfD Pulheim (Himmlische Töchter) von ihrer geplanten Reise nach Rumänien sprachen. „Wir fahren bewusst dorthin, wo man normalerweise seinen Urlaub nicht verbringt“, war die Antwort, da man im Vertrauen auf eine gute Organisation ein für die meisten unbekanntes Land entdecken wollte. Rumänien verbanden viele der Himmlischen Töchter bis dato nur mit der Suche nach Pflegekräften für ihre hilfsbedürftigen Eltern, Erntehelfern oder Bauarbeitern. Über das Land, aus dem diese für die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft so notwendigen Arbeitskräfte kommen, wussten wir nur wenig.
Anna, eine Siebenbürger Sächsin, die Deutsch und Rumänisch als Muttersprache spricht, brachte uns 29 Frauen und Männern aus Pulheim Kultur, Wirtschaft und Politik Rumäniens auf einer viertägigen Reise nahe und erwies sich als wahre, aber auch kritische Botschafterin ihres Landes.
Eine bis in die Römerzeit zurückreichende Kulturlandschaft, große Nationalparks in den Karparten und im Donaudelta, Wälder in denen mehr als 5000 Bären und Hunderte Wölfe leben, ein Vielvölkerstaat, der mit den Folgen der kommunistischen Ära kämpft, der sich gegen die im Land herrschende Korruption mit großen Demonstrationen zur Wehr setzt, gut ausgebildete junge Menschen in den Städten, in denen inzwischen Arbeitskräfte händeringend gesucht werden – das ist Rumänien heute. Gegensätze bestimmen das Land: bäuerliches Dorfleben, vergleichbar dem in Deutschland der 1950er Jahre im Norden auf der einen Seite, moderne Großstädte wie Cluj-Napoca, die in ihren Angeboten westeuropäischen Großstädten nicht nachstehen, auf der anderen.
Die Rumänen sind im Aufbruch nach Europa – im wahrsten Sinne des Wortes: mehr als 3 Millionen Rumänen haben seit dem EU-Beitritt das Land verlassen, um Geld zu verdienen, um sich ein neues Leben aufzubauen bzw. die im Heimatland zurückgebliebenen Familien zu unterstützen. Viele Probleme des modernen Rumänien mit seinen ca. 20 Millionen Einwohnern hängen mit dieser Abwanderung der jungen Leute zusammen, bleiben doch Kinder und Alte häufig alleine im Heimatland zurück. „In keinem EU-Land ist der Unterschied zwischen den Löhnen und den Preisen für Lebensmittel und Mieten größer als in Rumänien. Dies erhöht den Druck, zumindest für ein Familienmitglied im Ausland zu arbeiten“, berichtet Anna, die als ausgebildete Lehrerin wegen der geringen Bezahlung nicht in ihrem Beruf arbeitet, sondern als Reiseleiterin für ausländische Gruppen in Rumänien tätig ist.
Das besondere Interesse der Gruppe aus Pulheim galt dem religiösen Leben im postkommunistischen Rumänien. Zunächst standen deshalb die inzwischen als Weltkulturerbe gelisteten, zur orthodoxen Kirche gehörenden Moldau-Klöster Moldovita (1532) und Voronet (1488) auf dem Programm, die sich vor allem durch ihre bunte Außenbemalung auszeichnen. Sie befinden sich im ländlich geprägten Norden Rumäniens, in der Region Moldau/Bukowina. Ca. 87 Prozent der Rumänen gehören der rumänisch-orthodoxen Kirche an. Nach dem Sturz des rumänischen Diktators Nicolae Ceaucescus im Jahr 1989 erlebten die Kirchen, auch dank staatlicher Unterstützung, einen gewaltigen Boom: Mehr als 8000 Kirchen und Klöster sind seit dem Ende der kommunistischen Ära in Rumänien neu gebaut worden. Obwohl die Armut in den kleinen Dörfern der Bukowina groß ist, findet sich in fast jedem Dorf eine hervorragend restaurierte Kirche, während die Wohnhäuser hier häufig noch ohne Wasseranschluss und die Straßen in einem desolaten Zustand sind. „Der Einfluss der orthodoxen Priester auf die dörfliche Politik ist so groß, dass die Erhaltung und die Restaurierung der Kirchen Vorrang vor allen anderen Infrastrukturmaßnahmen in den Dörfern hat“, bemerkte unsere Reiseführerin Anna kritisch, die als Siebenbürger Sächsin der protestantischen Kirche angehört. Die Menschen im Dorf seien von einem tiefen religiösen Empfinden geprägt.
Im Nordwesten Rumäniens liegt die Region Maramures. Die Holzkirchen mit ihren zahlreichen Ikonen zieren hier fast jedes Dorf. Einige von ihnen gehören bereits zum Weltkulturerbe. Die Gruppe besuchte eine kleine Holzkirche, nur wenige Minuten von der Hauptstraße nach Cluj entfernt. „Wir müssen in dieselbe christliche Richtung schauen und Unterschiede überwinden“, meint der orthodoxe Priester aus der Gemeinde Satvlvi mit 700 Mitgliedern, als die Gruppe aus Pulheim ihn in seiner Kirche besucht. In seiner Begrüßungsrede betont er die Zusammengehörigkeit der Christen unterschiedlicher Konfessionen, die er deutlich vom Islam abgrenzt. Bei vielen Rumänen gibt es erhebliche Vorbehalte gegen die Osmanen bzw. die Türken, die große Teile des Landes vom 14. bis zum 17. Jahrhundert besetzt hielten.
Weitere Stationen auf der Rundreise waren das nach der Wende erbaute neue Kloster und Pilgerzentrum Barsana sowie der sog. „Lustige Friedhof“ in Samanta, direkt an der Grenze zur Ukraine gelegen. Touristisch wird der Norden Rumäniens erst langsam erschlossen. Sehr interessiert ist man an ausländischen Gruppen. Zur Zeit werden Wandergebiete in den Karparten ausgewiesen, Skigebiete erschlossen und Schmalspurbahnen, mit denen früher das Holz transportiert wurde, wieder in Betrieb genommen, um sie zu Touristenattraktionen auszubauen. Die Fahrt der Gruppe mit einer restaurierten Dampflok in der Bukowina lockte sogar das rumänische Fernsehen an, um einen Investor im Tourismus in dieser Region zu unterstützen. In der Tat wurde am nächsten Tag im rumänischen Fernsehen über die Gruppe berichtet.
Ein großes Problem für die Dörfer der Maramures und der Bukowina stellt die Abwanderung der jungen Menschen ins Ausland dar. Einerseits tragen die im Ausland arbeitenden Familienmitglieder wesentlich zum Überleben der Familien in den Dörfern bei, andererseits ergeben sich dadurch auch erhebliche Probleme: die Versorgung der Kinder durch Großeltern und Tanten erweist sich häufig als problematisch. Harte Feldarbeit gehört zum Alltag der rumänischen Frauen: auf den kleinen Parzellen wird Gemüse und Obst angebaut; die Männer bewirtschaften die kleinen Äcker. Traktoren gibt es hier im Nordosten Rumäniens überhaupt nicht. Pferde erledigen die Feldarbeit. Mit der Sense wird das Gras gemäht, auf Heuhaufen getrocknet und dann mit den Pferdefuhrwerken nach Hause transportiert. Kühe und Schafe bestimmen das Landschaftsbild. Schnelles Fahren empfiehlt sich selbst auf den Hauptstraßen Rumäniens nicht, muss doch immer damit gerechnet werden, dass plötzlich eine Kuh auf der Straße steht oder eine Schafherde die Straße kreuzt. Hier im Norden Rumäniens scheint die Zeit stehen geblieben zu sein.
Im eklatanten Gegensatz zu den Dörfern in der Maramures und der Bukowina steht die moderne Metropole Cluj Napoca (dt. Klausenburg) im Nordwesten Rumäniens, die unsere Gruppe zum Abschluss besuchte. Cluj mit über 320.000 Einwohnern ist die zweitgrößte Stadt Rumäniens und die offizielle Hauptstadt Siebenbürgens. Das Stadtbild wird vor allem durch die mehr als 40.000 Studierenden bestimmt. „Die Studierenden sind gut ausgebildet und schätzen ihre Freiheit. Sie wollen ihr Land neu aufbauen“, meint unsere Reisebegleiterin Anna, die viel von ihrer Schul- und Studienzeit in Rumänien erzählt. „In sozialistischen Zeiten wurde den Minderheiten in Rumänien, vor allem den Deutschen und Ungarn, erlaubt, eigene Schulen und Universitäten zu unterhalten. Es wurde staatlicherseits darauf geachtet, dass die Stundenzahl in den Unterrichtssprachen Deutsch und Rumänisch gleich war.“ Nach der Wende hätten viele Deutsche Rumänien verlassen und seien nicht mehr zurückgekehrt. Eine kleine Minderheit von Deutschen lebt aber auch heute noch in Siebenbürgen. Seit 1995 bietet die Universität in Cluj auch deutschsprachige Studiengänge an. Cluj ist zugleich ein wichtiges Handels- und Verkehrszentrum sowie auch ein wichtiger Industriestandort Rumäniens. Viele ausländische Firmen haben hier ihren Sitz. Besonders die IT-Branche ist hier stark vertreten, so dass Cluj auch als das „Silicon Valley“ Rumäniens bezeichnet wird. Hier findet man in den Fußgängerzonen inzwischen ein ähnliches Angebot wie in den westeuropäischen Großstädten. Die deutsche, ungarische und rumänische Vergangenheit ist in Cluj vor allem durch die zahlreichen Kirchen und Klöstern präsent: Im Mittelpunkt des Marktplatzes steht die im 14. und 15. Jahrhundert gebaute gotische römisch-katholische St. Michaelskirche, die im 19. Jahrhundert einen 80 Meter hohen Glockenturm im Stil der Neugotik erhielt. Ein ausschließlich für unsere Gruppe organisiertes Orgelkonzert beschließt unsere Rumänienreise – unvergessliche Eindrücke, die die Zusammengehörigkeit der KfD-Gruppe in Pulheim und die Verbundenheit mit anderen christlichen Kirchen im Osten gestärkt hat. Mit vielfältigen neuen Eindrücken kehren wir nach Pulheim zurück und sehen das Land jetzt mit anderen Augen.